Gefangen am runden Tisch von George Kohlrieser
„Ein Leadership-Buch von einem Psychologen“- schwierig. Das war mein erster Gedanke, als ich „Gefangen am Runden Tisch“ empfohlen bekommen habe. Als ich dann die weitere Vita von George Kohlrieser (ich habe Ihn selber als Keynote-Speaker kennen gelernt) las, wurde ich schon interessierter: Polizeipsychologe, Geiselexperte, Verhandlungsführer, Arbeit in Krisengebieten und weiteren knapp hundert Ländern. Heute als Professor tätig und Berater- hauptsächlich für Führung und Motivation.
Gespickt mit extrem vielen Geschichten und kleinen Beispielen, lässt sich das Buch gut lesen, wenngleich auch immer wieder Kapitel gut für sich selber lesbar sind. Auf den ersten Blick Selbstverständlichkeiten offenbaren bei weiterem Nachdenken noch differenziertere Ansätze, die man gerne nachliest. Auffällig ist die Verknüpfung von Businessthemen mit spannenden Erkenntnissen aus der Erziehung von Kindern und Beispielen aus der Tätigkeit als Geiselexperte.
Fangen wir erst mal bei uns selbst an
Bevor wir andere kritisieren oder über andere meckern, sollten wir erst mal „vor der eigenen Haustüre kehren“, so lautet eine gängige Redensart im Bergischen Land. George Kohlrieser sieht das ähnlich, denn in „Gefangen am runden Tisch“ erzählt er vor allem von uns selber und wie wenig wir uns, unsere Gefühle kennen und beherrschen.
Als Metapher dient ihm die Geisel: So nehmen wir uns selbst oft in (mentale) Geiselnahme und haben so Schwierigkeiten in einen vernünftigen Dialog, eine offene und konstruktive Kommunikation oder gar nur in einen Leadershipmodus zu kommen.
Immer wieder wird betont, wie wichtig die Herstellung von emotionalen Bindungen zu Menschen und Zielen sind. Entscheidend ist unser Geisteshaltung. Wenn wir wissen, dass wir über diese frei entscheiden können, sind wir nicht mehr Gefangener unserer (mentalen- also inneren) Haltungen und Modelle.
Mit dem geistigen Auge Freiheit erlangen
Hört sich hochtrabend an. Ganz einfach formuliert bedeutet es: Wenn wir Höchstleistungen erreichen wollen, müssen wir uns selber vom Nutzen eines (meistens Veränderungs-) Schmerzes überzeugen. Wir dürfen uns nicht auf die Qualen und Schmerzen fokussieren sondern auf das Positive. Klettere ich einen Berg hinauf, so denke ich nicht an den Muskelkater, den ich am nächsten Tag haben werde, sondern wie ich erhaben auf dem Gipfel posiere, ein Erfrischungsgetränk und einen Powerriegel in der Hand. Authentizität entsteht zudem dann, wenn innere und äußere Haltung übereinstimmen.
In dem Durchlaufen des sog. Bondingkreislaufes (Annäherung, Bindung, Trennung, Trauer) und der damit verbundenen Unterstützung für andere sieht Kohlrieser eine wesentliche Führungsaufgabe. Konfliktmanagement als zentrales Thema zur Inspiration und Motivation für Führungskräfte- sehr spannend.
Die Macht der sicheren Basen
Das aus meiner Perspektive spannendste Kapitel ist das über sichere Basen. Führungskräfte müssen
- Ihre eigenen sicheren Basen kennen und nutzen
- Eine sichere Basis darstellen (Nur wenn wir als Führungskraft verlässlich dastehen, werden wir unsere Mitarbeiter auch zu Höchstleistungen ankurbeln können)
- Wissen welche Stärken und Schwächen sich aufgrund welcher sicheren Basen entwickelt haben.
Aus dieser Betrachtungsweise können wir eine ganze Menge über uns selbst, unsere Kollegen unseren Führungsstil lernen und uns verbessern. Die sicheren Basen sind elementar wenn es um ein rationales Konfliktmanagement geht. George Kohlrieser beschreibt sehr anschaulich, welche Fehler Führungskräfte machen, warum Konflikte selten als Quelle von Kreativität und als Potential für das Unternehmen gesehen werden und wie sie in einer Atmosphäre des Vertrauens Höchstleistungen erbringen können.
Wichtig auch immer wieder, sich zu verdeutlichen, dass der „Fisch auf den Tisch muss“, sonst beginnt er zu stinken und faulen, was soviel wie die Notwendigkeit des Konflikte ansprechen und Konflikte führens thematisiert.
Zuhören statt quasseln
Die Macht des effektiven Dialogs besteht in der Fähigkeit des aktiven Zuhörers. Wie das geht, warum das sinnvoll und die Basis für gute Verhandlungen ist, wird in dem Kapitel 6, effektiver Dialog, beschrieben. Wir können durch ehrliches Interesse, das Ausloten von Optionen, das Fragenstellen, die Beobachtung von Gefühlen, Handlungen, Emotionen einen viel intensiveren und lösungsorientierten Dialog führen, als wenn wir unser Schema „runterrattern“.
Im folgenden Verhandlungskapitel werden Basics aus der Verhandlungstechnik, aber vor allem Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln zusammengefasst: Die Herstellung einer (emotionalen) Beziehung zum Verhandlungspartner, das proaktive Zuhören, das Ergründen von Motiven hinter den Interessen, das Ansprechen von Konflikten uvm.
Eher als klassisches Führungsthema, aber auch für Verhandlungen extrem wichtig, ist die Bedeutung der emotionalen Intelligenz. Um unsere Emotionen zu beherrschen und zu vermeiden, dass wir uns in Gefangenschaft begeben, müssen wir zunächst uns selbst verstehen. Wo sind unsere Alarmknöpfe? Nur so können wir lernen uns selbst zu regulieren.
Ein Leben frei von mentaler und emotionaler Gefangenschaft…
…erreichen wir, wenn wir bewusst entscheiden und wissen, dass wir selber verantwortlich sind. Wir legen unser Schicksal nicht in die Hände von anderen (Irgendwo sagt George Kohlrieser auch: Erfolg ist die Fähigkeit Misserfolg zu überwinden).
- Selbstachtung entwickelt sich im Lauf des Lebens. Verschiedene Wege (z.B. das geistige Auge oder sichere Basen, Dankbarkeit) helfen, diese zu stärken.
- Kontinuierliches und lebenslanges Lernen helfen, Geist und Leben zu erweitern. Herausforderungen und das Bewegen ausserhalb der eigenen Komfortzone helfen uns dabei, mit Veränderungen besser umzugehen.
- Demut als zentrale Führungseigenschaft (und Ausdruck eines positiven Selbstwertgefühls)
„Glücklich zu sein ist eine bewusst getroffene Entscheidung“
George Kohlriesers Buch „Gefangen am runden Tisch“ stellt einen Fundus an guten, nachvollziehbaren und bewährten Strategien und Handlungsanweisungen dar, die durch (zumindest für mich) neue Ansätze (sichere Basen) ergänzt wird.