Führung im digitalen Zeitalter
***Information: Bei dem hier vorliegenden Artikel handelt es sich um einen Auszug aus meinem Buch zur Digitalisierung "Digitaler Suizid". Übrigens ist das Thema Führung immer Bestandteil meiner Keynotes.
Führung im digitalen Zeitalter
Unternehmen agieren heute in einer unberechenbaren Umwelt, die sich immer schwieriger oder gar nicht steuern lässt. Was heute gilt, kann morgen schon anders sein und Pläne von heute haben morgen keine Gültigkeit mehr. Die Strategiepläne vom vergangenen Jahr sind heute möglicherweise nur noch für den Papierkorb. Starre Regeln und eine Null-Fehler-Toleranz behindern, statt zu helfen. Führungskräfte können diese komplexe Welt nicht mehr kontrollieren. Eine Kultur des Ausprobierens – Iteration statt Perfektion –, der Eigenverantwortung, der Neugier ist notwendig. Die alten Managementansätze sind überholt. Dem müssen sich Unternehmer und Führungskräfte ebenso stellen wie Mitarbeiter.
OKR schafft Transparenz
Führen durch Management by Objectives (MbO) ist nicht mehr die geeignete Methode. In modernen Unternehmen wird zunehmend mit der OKR-Methode geführt. OKR steht für Objectives and Key Results. Bei MbO werden Jahresziele für das Unternehmen durch die Geschäftsführung festgelegt, im Anschluss werden diese Ziele auf Abteilungen und einzelne Mitarbeiter heruntergebrochen. Dabei
haben die Mitarbeiter wenig Mitspracherecht. Führungskraft und Mitarbeiter vereinbaren Ziele für meistens ein Jahr, sodass Aufgaben, Verantwortungsbereich und Handlungsspielraum für den Mitarbeiter abgesteckt sind. Am Ende des Zeitraums wird die Zielerreichung geprüft und im besten Fall gibt es eine Gehaltserhöhung. Nachteil: Die Mitarbeiterziele werden Veränderungen im Unternehmensumfeld nur selten angepasst. Es wird die Vergangenheit, das vergangene Jahr betrachtet und die Mitarbeiter haben meist keinen Einblick in Ziele und Ergebnisse der Kollegen. Immer mehr Unternehmen arbeiten heute mit der OKR-Methode. Dabei werden zwar die Unternehmens-OKR auch durch das Management festgelegt, aber anschließend erarbeiten Führungskräfte und ihre Mitarbeiter selbstorganisiert die Team- OKRs. Diese werden wieder mit der Geschäftsführung besprochen, verhandelt und gemeinsam verabschiedet – nicht für ein Jahr, sondern für drei bis sechs Monate. Ziele, die an Relevanz verlieren, werden angepasst oder gestrichen, eventuell werden neue Ziele aufgenommen. Zweiwöchentliche Statusmeetings geben allen Informationen zu Zielerreichung und Umsetzungsstand. Das erhöht die Anpassungsfähigkeit und bringt Transparenz, denn alle Ziele sind für alle sichtbar – bei Google sogar die des Firmenchefs. Jeder weiß, woran die anderen arbeiten. Die Mitarbeiter verstehen, was sie zur Zielerreichung beitragen und wie das Unternehmen insgesamt mit der Umsetzung vorankommt. Die Teams werden dazu ermutigt, sich ambitionierte, aber nicht unrealistische Ziele zu setzen. Die individuelle Vergütung wird von der Zielerreichung entkoppelt. Die Wertschätzung für den einzelnen Mitarbeiter bezieht sich auf sein Engagement und seinen Beitrag auf dem Weg zur Zielerreichung. OKRs kommen dem Bedürfnis vieler Mitarbeiter entgegen, zu wissen, warum ihre Arbeit wichtig ist.
Unterschiede von MbO und OKR
Geteilte Führung macht besser
Die veränderte Unternehmenswelt verlangt von Unternehmern und Führungskräften einen anderen Führungsstil, der nicht nur dem komplexeren Umfeld Rechnung trägt, sondern auch der Tatsache, dass sie schon heute in vielen Unternehmen vier Generationen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturkreisen führen. Einer alleine schafft das nicht, zumindest nicht, wenn er ehrlich ist. Deshalb muss sich der Unternehmer nicht nur vom allwissenden und kontrollierenden Zampano verabschieden und zum Coach und Entwickler der Mitarbeiter sowie zum Lernenden werden – er sollte Führung auch teilen können. Führung im digitalen Zeitalter bedeutet, anderen die Entfaltung ihrer Potenziale zu ermöglichen. In einigen Familienunternehmen sieht man bereits, dass die junge Unternehmer-Generation das tut, nicht nur weil es angesichts einer komplexen Welt notwendig erscheint, sondern auch, um mehr Freiraum für sich selbst und die Familie zu haben. Wo der Vater das Unternehmen noch alleine lenkte, schaffen die Nachfolger oft einen fachübergreifenden Führungskreis. Das mindert die Last für den Einzelnen und sorgt für ausreichend Kompetenz.
Doch unter geteilter Führung versteht man noch etwas anders: Shared Leadership beschreibt ein Merkmal agiler Unternehmen, die auf sich selbst organisierende Teams setzen. Es gibt keinen Teamleiter im herkömmlichen Sinne mehr, sondern derjenige übernimmt die Führung, der dazu bei diesem Projekt an diesem Punkt der Arbeit am besten geeignet ist. Die Führungskraft inspiriert und coacht das Team und seine Mitglieder. Die Führungsverantwortung wird auf mehrere Personen im Team aufgeteilt. Die Teammitglieder geben je nach den Anforderungen der Situation und der Aufgabe Führung ab oder übernehmen sie. Entscheidungen werden im Team getroffen, alle Teammitglieder tragen gemeinsam Verantwortung für das Ergebnis. Das Team hat geteilte Ziele und eine gemeinsame Vision. Hier ein schönes Zitat zur Führung im digitalen Zeitalter:
„Führung besteht hauptsächlich darin, Lust auf Veränderung zu schaffen, die anderen zu coachen, sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen und alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die die Organisation und ihre Mitglieder daran hindern, ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen: der Schaffung von Mehrwert durch Kundennutzen.“ Annemarie Zink-Kunnert
Ziele der Führung in Zeiten der Digitalisierung
Ziel der Anhänger des Shared Leadership ist es, weitgehend auf disziplinarische Führung zu verzichten, denn dies bedeute in klassischen Organisationen in der Regel „einen Menschen dazu veranlassen, etwas zu tun, was er möglicherweise ohne die Androhung von Sanktionen nicht unbedingt tun würde“. In der Unternehmenswelt der Zukunft wünsche ich mir eine Unternehmensführung, die es sich zur Aufgabe macht, die Entscheidungsfähigkeit und den Willen zur eigenen Entscheidung bei allen Mitarbeitern zu fördern. Dafür müssen Unternehmer und Führungskräfte die Angst vor Anarchie und Machtverlust ablegen zugunsten der Freude, Menschen und Unternehmen wachsen zu sehen. Doch bisher sind noch viel zu viele Führungskräfte mit der eigenen Karriere und Profilierung beschäftigt. Einige Unternehmer haben so viel Angst vor Kontrollverlust, dass sie ihren Mitarbeitern und damit dem Unternehmen jede Entwicklungsmöglichkeit nehmen. Diese Angst abzulegen und gemeinsam mit den Mitarbeitern mutig neue Chancen zu entdecken, halte ich für die derzeit wichtigste Aufgabe eines Unternehmers.
Mehr zur Führung im digitalen Zeitalter finden sie auch in meinem Buch digitaler Suizid.