Die IT darf kein Stiefkind mehr sein
Die Richard Borek Unternehmensgruppe aus Braunschweig geht einem Geschäft nach, das man auf den ersten Blick nicht mit Digitalisierung in Verbindung bringen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Digitalisierung ermöglicht weiteres Wachstum.
"Digitalisierung muss das wichtigste Projekt im Unternehmen werden"
Das mehr als 125 Jahre alte Familienunternehmen handelt mit Briefmarken und Münzen und gilt in der Nische als Weltmarktführer. Die erste Frage, die mir in den Kopf kam, war: Briefmarken – wer sammelt denn heute noch Briefmarken? Richard Borek, der das Unternehmen seit 2005 in vierter Generation führt, hat die Antwort parat: „Es gibt mehr als eine Million Briefmarken- und Münzensammler allein in Deutschland. Früher ersetzten die Briefmarken den Sammlern das Reisen, das sie sich nicht leisten konnten. Heute ist Briefmarkensammeln ein Hobby. Und dabei geht es in erster Linie nicht um den Wert, in den man investiert, sondern um emotionale Werte, die der Sammler in den Objekten sieht.“
Die Zielgruppe des Unternehmens sind Männer im Alter von 45 plus. „In dieser Generation ist der Shift auf die Digitalisierung etwas später erfolgt“, sagt Borek, „doch heute erreichen wir über mehr als 70 Prozent der Neukunden online. Die Menschen verändern sich. Mittlerweile arbeiten 30 Leute im Online-Marketing. Auf unserer Website haben wir 2,5 Millionen Visits pro Monat. Aktuell haben wir mehr als 500.000 Online-Besteller und werden wohl 2020 über eine Million Bestellungen online haben.“
Big Data für das Unternehmen erlebbar machen
Doch Digitalisierung bedeutet für Borek nicht nur Online-Handel, sondern Chancen für das gesamte Unternehmen. „Vor zwei bis drei Jahren veränderten wir die Fragestellung bei der Onlinewerbung: Wir stellten nicht eine maximale Etathöhe zu Verfügung, sondern fragten den Bereich, wie viel meint ihr maximal ausgeben zu können. Schnell hat sich gezeigt, dass Print für uns immer weiter in den Hintergrund rückte, da die Onlinewerbung in immer mehr Bereichen wirtschaftlicher wurde. Um diese Veränderung zu bewältigen, mussten neue Mitarbeiter aufgebaut werden, zum Beispiel um professionelles Online-Marketing zu betreiben. Doch das konnten wir uns eigentlich nicht leisten. Deshalb haben wir die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt, um die Prozesse im Unternehmen zu automatisieren und so die Kosten zu senken. Mittlerweile haben wir bei etwa gleichen Personalkosten mehr Leute mit IT-Kompetenz.“ Borek gibt zu, dass die Veränderung nicht einfach war, er aber zwei Vorteile hatte: Er konnte aus einer Position der Stärke heraus handeln und er konnte die natürliche Fluktuation und den Renteneintritt bei den Mitarbeitern nutzen. „In den Abteilungen herrschte viel Dynamik, und es machte sich eine größere Motivation breit“, sagt er. Heute kann das Unternehmen mit seinen mehr als 500 Mitarbeitern Echtzeitdaten verarbeiten und auswerten, sodass die Werbung entsprechend den Kundenerwartungen gestaltet und platziert werden kann. Über Dashboards können die Mitarbeiter sehen, wo es hakt, zum Beispiel wo es einen Rückstand in der Logistik gibt oder wo etwas besonders gut läuft. „Wir haben es geschafft, Big Data für uns erlebbar und nutzbar zu machen“, betont Borek.
Was die Digitalisierung anbelangt, ist der Betriebswirtschaftler Borek Autodidakt. Die Digitalisierung vergleicht er mit dem Neubau eines Hauses. „Der Chef muss nicht wissen, wie der Beton gemischt wird, aber er muss wissen, wie die Raumaufteilung ist, wo Türen und Fenster sind – er braucht einen Plan. Dafür muss er sich sehr viel Zeit nehmen, bis das Fundament gelegt ist.“ Doch das ist laut Borek gut angelegte Zeit. „Man muss lesen, mit Experten sprechen und sich überlegen, an wen man delegieren kann. Für die Digitalisierung muss man den besten Mann einsetzen.“
Wir statt ihr
Um Weltmarktführer zu bleiben, kommt es nach Boreks Auffassung heute nicht mehr darauf an, möglichst groß zu sein, sondern möglichst schnell. „Heute fressen nicht mehr die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen“, sagt der Unternehmer. „Die Organisationsstruktur folgt der IT-Struktur. Wenn diese nicht dynamisch und skalierbar ist, wird man beim Ausfluss der Strategie immer langsam sein.“ Entscheidend für den Erfolg sei es, eine andere Führung zuzulassen, eine breitere Entscheidungsbasis zu finden. Alle Abteilungen gemeinsam müssten entscheiden, was wichtig ist und was nicht. „Es heißt heute bei uns ‚wir statt ihr‘. Im Kollektiv werden wir stärker und können uns besser entwickeln als einer alleine oder wenn jede Abteilung für sich arbeitet. Die Dinge sind viel zu komplex als dass sie einer alleine verstehen könnte.“
Darüber hinaus würden Märkte Trends unterliegen und diese wiederum Veränderungen. Ein schlechtes Produkt könne auch durch das beste Marketing nicht verkauft werden. „Menschen und Kulturen verändern sich. Die Produkte müssen darauf ausgerichtet werden“, sagt Borek. „Gleichzeitig ist der Kunde die einzige Konstante. Damit wir wissen, was er will, müssen wir den Dialog am Kunden ausrichten, Produkte erproben, eine höhere Vielfalt anbieten, mit der wir eine größere Bandbreite bedienen.“ Das Angebot des Unternehmens spiegelt diese Erkenntnis wider. So gibt es zum Beispiel Silbermünzen zum Christopher Street Day, die Blaue Mauritius in Silber, besondere Editionen zu den „Klimaregionen unserer Heimat“, zu Prinzessin Diana oder der Royal Wedding. „In China zum Beispiel waren dünne Metallplatten mit schönen Motiven in Briefmarkenform sehr beliebt. Jetzt, nach zwei Jahren merken wir, dass der Lebenszyklus zu Ende geht. Also müssen wir uns etwas Neues überlegen. Nachdem wir uns in den letzten fünf Jahren auf Nordamerika und Asien konzentriert haben, möchten wir jetzt auch in China unser Geschäft deutlich ausbauen.“
Ein Schritt nach dem anderen
Unternehmern, die den Schritt in die digitale Zukunft wagen möchten, empfiehlt Borek, Schritt für Schritt vorzugehen und sich die notwendige Zeit zu nehmen, um das Thema zu begreifen und die richtige Frage für das eigene Unternehmen zu stellen. „Die erste Frage, die man sich stellen sollte, ist: ‚Will ich mich mit dem Thema beschäftigen?‘, die zweite ebenso wichtige Frage ist: ‚Habe ich jemanden im Bekanntenkreis oder in meinem Netzwerk, der sich auskennt?‘. Anfangs muss man selbst viel lesen und mit anderen reden“, berichtet Borek aus seiner Erfahrung. „Ich habe viel Zeit mit der Suche nach den richtigen Leuten verbracht und sehr viel gelesen.“ Silicon Valley von Christoph Keese und Projekt Phönix – ein Roman über IT und DevOps – haben den Unternehmer am meisten beeindruckt.
„Will man das Projekt wirklich angehen, muss ein Maßnahmenplan entwickelt werden, sodass man kleine überschaubare Schritte gehen kann“, empfiehlt Borek weiter. „Dieses Projekt muss das wichtigste Projekt im Unternehmen werden.“ Für ihn ist die digitale Strategie ein Wachstumstreiber. Seiner Meinung nach haben bis dato zu wenig Unternehmen realisiert, dass: „Wenn wir heute die IT abschalten, die Firma nicht mehr läuft. Das zeigt, dass wir umdenken müssen. Die IT darf kein Stiefkind mehr sein, denn schneller werden kann ein Unternehmen heute nur, wenn die IT-Struktur die höhere Geschwindigkeit zulässt. Es führt kein Weg daran vorbei: Als Unternehmer muss ich mich mit der IT befassen!“